Polar Circles
Die deutsche Sehnsucht nach dem Norden ist mittlerweile sprichwörtlich. Neben der Kriminalliteratur hat sie seit Jahren ihr Spielfeld in den vielen aus Jazzquellen in Esoterik und Folklorismus führenden vorgeblich „nordischen“ Musiken (von denen, vom Norden aus gesehen, sich durchaus nicht wenige als merkwürdige Projektionen erweisen). Das einsame, lyrisch hohe Saxophon ist zu Synonym dieses Musikgefühls der herbschönen, nordischen Art geworden. Und manchmal hatte man wirklich genug davon.
Nicht so bei Ulrich Lasks „Polar Circles“. Ja, diese Musik ist schön, auf frappierende Weise schön durch den Wohlklang der Instrumente (Saxophon, Klarinetten und Sampler) und sie ist ergreifend durch die Reduktion auf die elementarsten Bausteine, auf Tonleitern, Zwei- und Dreiklänge. Wir stehen im Raum einer kleinen lappländischen Holzkirche und lauschen dieser Schönheit hinterher, die in jeder Wendung überrascht und zugleich überzeugt: „Ja, genauso musste es sein“, sagt das mithörende Bewusstsein, ohne dass man während des Hörens je einen Schritt hätte vorausahnen können. Und genau diese Klarheit und Selbstverständlichkeit macht „Polar Circles“ immun gegen jede Anwandlung von Kitsch.
Denn Lask ist, wie immer, ein rigoroser Planer und überlässt nichts dem Zufall. Seine reichen Mittel setzt er äußerst skrupulös ein. Beim Hören von „Polar Circles“ stellt sich daher das Gefühl völliger Unabweisbarkeit selbst der kleinsten Einzelheit ein. Erst beim späteren Nachdenken über diese Musik ahnt man, welch langer Weg, welche rigide Auswahl des Materials ihr zugrunde liegt.
„Polar Circles“ ist Ergebnis eines langen Weges und einer tiefen Erfahrung. Das macht, in einem Umfeld der zynischen Schnellschüsse, diese Produktion zu einer Ausnahme. Ihre Besonderheit verdankt sich nicht einer rebellischen Geste, sondern umgekehrt dem Bestehen auf der Möglichkeit der Schönheit in einer aktuellen, hoch reflektierten Musik. Manche werden diese Haltung konservativ finden, man könnte sie aber mit einigem Recht auch subversiv nennen.
Berthold Franke
Goethe-Institut Stockholm
POLAR CIRCLES came about in Arjeplog in Lapland, just a few miles south of the Arctic Circle, a place that besides Aachen and Paris has in recent years become a home for me. Inside the village church, which the parish kindly allowed me to use outside the hours of service, I spent the sun-lit nights of one Arctic summer month alone with my instruments and recording equipment. It was here of all places, so far from my familiar circles and tempted to abandon myself to the peace within and beyond the exceptionally beautiful acoustics of this church space, that the turbulence of urban life assumed clear definition and resonated forcefully between taboo and potential. With POLAR CIRCLES, created in the last remaining wilderness of Europe (as the traveller is told), I have made, as I always do, European urban music - from a slight distance.
Ulrich Lask, Arjeplog, January 2005